Mein Partner ist ein Transvestit

Hilfe mein Partner ist ein Transvestit!

Na und? Was ändert das schon? Es ist immer noch der gleiche Mensch, in den man sich verliebt hat! Vagen Schätzungen zufolge sind etwa fünf Prozent der Männer Transvestiten. In Deutschland lebten Ende 2014 fast 40 Millionen Männer. Das bedeutet, dass es allein bei uns in Deutschland rund zwei Millionen Transen gibt. Diese Leidenschaft spielt sich zwar meist im Verborgenen ab, ist aber, wie man an den Zahlen sehen kann, wirklich sehr verbreitet. Vielleicht ist der Chef, der beste Freund, der Bruder oder sogar der Vater auch eine Transe, ohne dass man die geringste Ahnung davon hat.

Eines der am verbreitetsten und gleichzeitig schlimmsten Vorurteile ist, dass wir allesamt schwul sind. Ganz im Gegenteil, die meisten Transvestiten sind ganz normal heterosexuell und verkleiden sich eben nicht, um arglose, heterosexuelle Männer in eine Venusfalle zu locken. Nur etwa 15 Prozent der Transen sind tatsächlich homosexuell, die überwiegende Mehrheit, nämlich 85 Prozent, ist heterosexuell (die Zahlen stammen aus einer Erhebung im Internet).

Es gibt ganz bestimmt sehr große und schwerwiegende Beziehungsprobleme, aber dass der eigene Partner ein Transvestit ist, muss nicht dazugehören. Es sei denn, man macht ein Problem daraus. Als selbst Betroffene bin ich in Bezug auf diese Dinge zugegeben nicht ganz unvoreingenommen. Auch wenn die Partnerin es im ersten Augenblick, nachdem sie davon erfahren hat, vielleicht nicht glauben möchte, es kann alles wirklich völlig harmlos sein. Selbstverständlich ist sie sehr überrascht und vielleicht sogar schockiert, wenn sie womöglich erst nach vielen Jahren von diesem wichtigen, bisher verheimlichten Teil der Seele ihres Partners erfährt. Mag sein, dass sie zunächst verletzt ist und sich hintergangen fühlt. Sie sollte jedoch klären, aus welchem Grund das geschah. Oftmals führen wir dieses heimliche Doppelleben aus Liebe zu unseren Ehefrauen und Freundinnen, aus Angst um die Partnerschaft und darum, den geliebten Menschen zu verletzen. Es gibt aber auch viele Frauen, die davon wissen und diese Eigenschaft ihres Partners tolerieren.

Liebevoller Partner und FamilienvaterMeine eigene Partnerin stellte unmittelbar, nachdem sie davon erfahren hatte, dass ich eine Transe bin, ganz spontan und richtig fest: „Du bist deswegen ja gar kein anderer Mensch.“ Das ist die Wahrheit, so unglaublich gut ausgedrückt, dass man jetzt eigentlich schon hier aufhören könnte, weiter über dieses Thema zu schreiben. Dass der Mensch, in den man sich einmal verliebt hat, ein Transgender ist, ändert nämlich ganz bestimmt nichts daran, dass er ein guter und liebevoller Partner und ausgezeichneter Familienvater sein kann. Im Gegenteil! Vielleicht hat man sich gerade auch wegen dieses besonderen Teils der Persönlichkeit in diesen Menschen verliebt, ohne es zu wissen? Und dennoch: Nicht selten steht diese Leidenschaft nach ihrem Bekanntwerden wie eine hässliche, unüberwindbar hohe Mauer zwischen den beiden Partnern.

Wenn man als Partner davon erfahren hat, dann möchte man sehr gerne begreifen, aus welchen Gründen das so ist. Selbstverständlich ist das auch so, wenn man an sich selbst bemerkt, dass man ab und zu sehr gerne jemand anderes und dann ausgerechnet eine Frau sein möchte. Man hat keine Ahnung, was eigentlich los ist, und bekommt Panik. Um sich selbst zu definieren und zu kategorisieren, muss man in sich hineinhören. Bin ich ein Transvestit, eine Dragqueen, ein DWT oder womöglich sogar transsexuell? Erst wenn die eigentliche Motivation dahinter geklärt ist und die Fakten allesamt auf dem Tisch liegen, lassen sich die Auswirkungen für eine Beziehung bestimmen.

Meiner Erfahrung nach existiert gerade unter den Frauen eine große Toleranz und Akzeptanz gegenüber uns Transgendern. Diese Einstellung ändert sich mitunter manchmal jedoch schlagartig, wenn bekannt wird, dass ausgerechnet der eigene Partner dieser Leidenschaft nachgeht.

Es sind die üblichen Klischees von den tuntigen, grellbunten Männern in Frauenkleidung, die dann plötzlich in den Köpfen der Partnerinnen herumspuken. Aber auch der Mangel an fundiertem Wissen über die wahren Hintergründe und die Motivation dahinter kann Angst vor den Konsequenzen für die Beziehung auslösen.

Wenn der eigene Partner nicht den üblichen Klischees entspricht, sondern manchmal optisch mehr Frau als Mann darstellt, kann das einen schier unüberwindbaren, tiefen Graben aufreißen. Da ist dann ganz plötzlich eine Angst, dass noch sehr viel mehr dahintersteckt und man den Menschen, den man liebt, verliert. Letzten Endes kann jedoch nur die (der) Partner(in) sagen, wie ihre (seine) Motivation aussieht und wie weit sie (er) zu gehen bereit ist. Die Erfahrung zeigt aber, dass die große Mehrheit ihr bisheriges Leben wegen dieser Leidenschaft nicht aufgibt.

Belastend sind auch das meist viel zu lang geheim gehaltene, versteckte Handeln und die schlagartig bekannt werdenden Notlügen, um die geliebte Frau an seiner Seite nicht über Gebühr zu verletzen oder gar zu verlieren. Es ist aber auch die schmerzhafte Erkenntnis der Partnerin, die dachte, den geliebten Menschen an ihrer Seite zu kennen, wenn ihnen schlagartig bewusst wird, dass ein wichtiger Teil der Persönlichkeit sogar bewusst vor ihnen versteckt und ihnen unterschlagen wurde. Da tritt nicht selten völlig unerwartet ein Teil des Partners in Erscheinung, den man nicht kennt. Letzten Endes kann das alles bei den Partnerinnen zu einer riesigen Verunsicherung, zu großer Angst und Furcht vor dieser gefährlichen, unbekannten Frau führen, die sich ganz plötzlich, meist ohne Vorwarnung, kompromisslos in die Partnerschaft drängt und nicht zu vertreiben ist. Glaubt mir, ich weiß darüber nur allzu gut Bescheid und ich bezahle einen hohen Preis dafür!

Auch ist immer unmittelbar nach der Entdeckung ganz plötzlich eine große Angst da, was die Familie, die Freunde oder die Nachbarn dazu sagen werden. Eine Transe zu sein, ist jedoch ganz bestimmt eine sehr persönliche Angelegenheit. Meiner Erfahrung nach behandeln die allermeisten diesen Teil von sich sehr diskret, sodass diesbezüglich wirklich kein Anlass zur Sorge besteht. Auch meine Familie, Freunde, Kollegen und Nachbarn haben nicht die geringste Ahnung von „Annica Springmann“.

Ich selbst kenne nur sehr wenige, die in dieser Angelegenheit in der Beziehung zu Frauen von Beginn an mit offenen Karten spielen. Der Grund ist einfach. Es ist die Angst vor den Reaktionen der Frau an unserer Seite, weshalb die Wahrheit erst viel zu spät und nicht selten mehr unfreiwillig als freiwillig auf den Tisch kommt. Es sind die freilich nur vermuteten entsetzlichen Folgen, die in unseren Köpfen umhergeistern, ausgerechnet von dem geliebten Menschen an seiner Seite ausgelacht, gedemütigt, verachtet und verlassen zu werden. Nicht auszudenken, wenn dieser Persönlichkeitsteil verraten wird und die lustigen Geschichten, die anschließend kursieren. Hin und her gerissen zwischen der geliebten Frau und der inneren Frau, verursacht diese Angst große seelische Schmerzen.

Wie auch immer man es erfahren hat, dass ausgerechnet der Mann, von dem man das niemals erwartet hätte, zu den Transen zählt ‒ vielleicht war es ein freiwilliges Outing oder vielleicht hat man den geliebten Partner unfreiwillig und ganz zufällig enttarnt ‒, man sollte ruhig bleiben, die rotierenden Gedanken sortieren und seinem Partner erst einmal gut zuhören. Entscheidend ist zunächst, herauszufinden, welche Motivation hinter der ganzen Sache steckt. Erst danach lässt sich überhaupt abschätzen, welche Auswirkungen dies auf eine Beziehung haben wird und ob es einen Grund zur Sorge gibt. Es kann ganz harmlos sein, wenn er „nur“ ein Transvestit ist. Die Sache kann aber auch einen weitaus ernster zu nehmenden Hintergrund aufweisen, dessen Folgen dann wohl eher einem Erdbeben gleichkommen. In jedem Fall muss man den Aussagen zur Motivation des Partners vertrauen, sonst wird diese Sache immer im Weg sein.

Wer jedoch denkt, dass das vielleicht nur eine vorübergehende Spinnerei des Partners ist, der irrt sich. Denn man muss wissen, es ist wie eine Droge, für die es keine Therapie gibt. Wir können nicht einfach damit aufhören. Wer den Partner vor die Wahl stellen möchte, diese „innere Frau“ oder „ich“, in der Erwartung, er werde sich für die Partnerin entscheiden - mein Rat: Lasst es sein! Selbstverständlich wird er sich, aus Liebe, gezwungenermaßen für seine geliebte Gefährtin entscheiden und es mag auch sein, dass dies einige Wochen gut geht, aber irgendwann wird der innere Druck zu groß und dann wird er seine Partnerin in dieser Sache belügen, betrügen und heimlich hintergehen, wo er nur kann. Auch wenn es mir das Herz für immer brechen würde und ich bestimmt nie mehr richtig glücklich sein könnte, auch ich würde mich eher für immer von meiner wirklich unendlich geliebten Ehefrau trennen als von meiner inneren Frau.

Die Mauer zwischen zwei Menschen

In der Regel ist es die Entscheidung der Partnerin an Deiner Seite. Sie hat die Macht, sich dieser Sache und damit Dir zu verschließen. Das ist dann wohl der Anfang vom Ende der Beziehung. Es ist an ihr, sich von diesem Teil Deines Lebens auszuschließen oder daran teilzuhaben. Natürlich kann sie Dir den Laufpass geben und ganz bestimmt ist das die einfachste Lösung für sie. Wenn sie Dich wegen dieser besonderen und nicht selten wirklich harmlosen Besonderheit vor die Tür setzt, bleibt ihr vermutlich ein ganz großes Glück verwehrt. Ich kann nur jeder Frau, die von diesem Geheimnis ihres Partners erfährt, dazu raten, sich damit unvoreingenommen auseinanderzusetzen und sich zumindest probehalber darauf einzulassen, sonst wird immer eine unsichtbare Mauer aus Unwissenheit und Angst zwischen den beiden Liebenden stehen.

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Über Annica

Annica Springmann aus Esslingen ist der kreative Kopf hinter Female Copy. Heute lebt die gebürtige Schwäbin in der sonnigen Südpfalz und neben Ihren Aktivitäten als Transgender Model, Fotografin, Mentorin und Autorin arbeitet die studierte Wirtschaftsingenieurin als IT-Expertin im Management. Mit Ihrer Webseite, dem Blog und ihren sozialen Profilen möchte Sie anderen Mut machen, ihr Leben so zu leben wie es sie glücklich macht, ihre Erfahrungen teilen und mit dem einen oder anderen Vorurteil aufräumen.

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